
Ich hatte ja im letzten Beitrag angedeutet, dass ich finde, Workshops mit ganzen Teams zum Thema psychologische Sicherheit kann man den Hasen geben, und dass ich in diesem Beitrag sagen würde, wieso. Nun denn.
Der Punkt ist schnell gemacht: entweder die psychologische Sicherheit ist hoch, dann brauchts keinen Workshop. Oder die psychologische Sicherheit ist tief, dann bringt ein Workshop nichts, weil niemand den Mund aufmachen wird, weil eben die psychologische...und die Theorie kann man sich auch aus dem Internet holen, da brauchts gleich nochmal keinen Workshop.
Bei der Geschichte geht’s ja um eine Atmosphäre, in der kritische Rückmeldungen gegeben werden können, ohne dass die betreffende Person Angst haben muss vor negativen Folgen. Dies wiederum ist ja keine mysteriöse magische Qualität, die sich irgendwie en bloc «installieren» liesse, sondern setzt sich zusammen aus nahe liegenden Elementen. Die Zutaten, von denen eine solche Atmosphäre geprägt sein muss, erschliessen sich leicht dem gesunden Menschenverstand: Wertschätzung, Zutrauen, gegenseitige Unterstützung, Offenheit für Kritik, Wille zum Lernen und Optimieren, unabhängig vom eigenen Ego.
Da Angst vor Konsequenzen eng verknüpft ist mit Fragen der Macht («Wer hat die Macht, mir zu schaden?»), spielen die Mächtigen hier die entscheidende Rolle und müssen die oben genannten Qualitäten zeigen. Das Verhalten der Führungskräfte entscheidet, ob psychologische Sicherheit überhaupt entstehen kann. Leadership ist gefragt.
Die Wirkung, die Führungskräfte entfalten, wird gespeist durch viele kleine tägliche Erlebnisse der Mitarbeitenden und durch Tatbeweise. Diese Tatbeweise sind kontinuierliche Beiträge zur Organisationsentwicklung und zur Entwicklung der Kultur. Deshalb kann das per Definition nicht in punktuellen Formaten abgehandelt werden, sondern bedarf der ständigen Pflege. Führungskräfte werden genau beobachtet, und Mitarbeitende ziehen aus ihren Beobachtungen und Erlebnissen ihre Schlüsse.
Wenn da also allenfalls doch ein Workshop stattfindet, dann ist das erst Mal ein Workshop mit der Geschäftsleitung, die diese Rolle annehmen muss. Denn wenn sie nicht bereit ist, sich die Frage zu stellen, was der Stand der psychologischen Sicherheit in ihrem Unternehmen mit ihrer Führungsarbeit zu tun hat, kann man getrost die Koffer packen. Dann ist Feierabend.
Haben Sie die Statements von Philipp Navratil, dem neuen CEO von Nestle, anlässlich seines Antritts mitbekommen? Zu lesen im Tagi vom 17. Oktober. «Ich will eine Gewinnerkultur schaffen.» «Ich werde gnadenlos nach Leistung abrechnen.» So sei es auch einfach zu sehen, wer nicht liefere und nicht zu Nestlé passe. Und schiebt nach, er wolle transparent sein.
Gnadenlosigkeit (seine Wortwahl, nicht meine) mit Transparenz zu begründen: auf die Idee muss man auch erst mal kommen. Ich rechne nicht damit, dass sich das positiv auf die psychologische Sicherheit auswirkt, und gewisse Recruiter dürften sich auch die Haare raufen. Der Börse gefällts.
Aber zurück zur psychologischen Sicherheit: ganz ehrlich, da gibt’s nichts Neues. Beziehungsfähigkeit, Aufrichtigkeit, Verlässlichkeit, eine zugewandte und offene Grundhaltung – solche Dinge sind gefragt. Und ja, auch mit diesen Eigenschaften ist es möglich, Leistung einzufordern. Gnadenlosigkeit würde ich da nicht auf die Liste der zwingenden Voraussetzungen setzen.
Meine Anregung: Nehmen Sie psychologische Sicherheit ernst, aber suchen Sie nicht zu weit. Wir alle wissen, was es ausmacht, ob wir jemand als verlässlich, wohlgesinnt und vertrauenswürdig wahrnehmen oder nicht. Konzentrieren Sie sich darauf, das, was man schon lange weiss, auf den Boden zu bringen.
Was dann geschehen kann, ist absolut faszinierend.
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